Das schleichende Gift der Ungleichheit in Unternehmerfamilien
- Christian Schiede
- 21. März
- 4 Min. Lesezeit
Ungleichheit ist in Unternehmerfamilien keine Ausnahme, sondern Realität. Während Eltern oft Gleichheit anstreben, führen individuelle Entscheidungen, Chancen und gesellschaftliche Dynamiken zu erheblichen Differenzen zwischen Familienzweigen.
Erfolgreiche Unternehmerfamilien akzeptieren diese Realität und setzen auf klare Prinzipien, eine starke Familienkultur und durchdachte Konfliktlösungen, um langfristigen Zusammenhalt und unternehmerische Stabilität zu gewährleisten.
Warum Gleichheit in Familien eine Illusion ist – und wie man mit Ungleichheit konstruktiv umgeht
Eltern bemühen sich, eine Atmosphäre der Gleichheit zu schaffen. Sie wollen ihren Kindern gleiche Startbedingungen bieten. Doch das Leben schreibt andere Regeln: Individuelle Entscheidungen, gesellschaftliche Vorurteile, Glück – all das beeinflusst den Erfolg der Geschwister auf sehr unterschiedliche Weise. Am Ende stehen oft ungleiche Vermögensverhältnisse, ungleiche Einflussmöglichkeiten und ungleiche Zukunftsaussichten.
Für Unternehmerfamilien ist Ungleichheit kein Randphänomen – sie ist eine unausweichliche Realität. Wer sie ignoriert, riskiert schwelende Konflikte, zerfallende Familienzweige und den schrittweisen Verlust von Einfluss und Vermögen.
Doch wie gelingt es, mit Ungleichheit so umzugehen, dass sie nicht zur Spaltung führt, sondern als gestaltbare Herausforderung begriffen wird? Die Antwort liegt in klaren Prinzipien, einer definierten Familienkultur und strukturierten Mechanismen zur Konfliktbewältigung.
Zeitlupen-Ungleichheit: Warum Familien langsam auseinanderdriften
Geschwister wachsen unter einem Dach auf, teilen Kindheitserfahrungen und haben ähnliche Chancen – so scheint es zumindest. Doch mit jedem Jahr verfestigen sich Unterschiede: Einige treffen risikobereite Entscheidungen, andere bevorzugen Sicherheit. Manche ergreifen Chancen, andere verpassen sie. Gesellschaftliche Faktoren wie Geschlechterrollen oder Zugang zu Netzwerken tun ihr Übriges.
Mit fünfzig Jahren blicken Geschwister oft auf völlig unterschiedliche Lebensrealitäten: Sie verfügen über unterschiedliche Fähigkeiten, haben unterschiedliche Karrieren gemacht, besitzen unterschiedlich viel Vermögen. Und auch im familiären Einflussgefüge bilden sich Hierarchien heraus: Wer führt das Unternehmen? Wer hat Kapital? Wer wird gehört – und wer nicht?
Diese Ungleichheit endet nicht bei Geschwistern. Sie setzt sich über Generationen hinweg in Familienzweigen fort. Einzelne Zweige sammeln Einfluss und Vermögen, während andere den Anschluss verlieren. Die Folge: Spannungen nehmen zu, Minderwertigkeitsgefühle entstehen – und häufig sind genau die benachteiligten Zweige die ersten, die an externe Käufer verkaufen.
Das Problem der relativen Ungleichheit: Warum „Fairness“ nie einfach ist
Soziologische Studien zeigen, dass Menschen weniger auf absolute Unterschiede achten, sondern vor allem auf das, was innerhalb ihrer Bezugsgruppe passiert.
In Unternehmerfamilien entsteht dadurch ein Spannungsfeld:
„Warum bekommt mein Cousin eine Unternehmensbeteiligung, ich aber nicht?“
„Wie kann es fair sein, dass mein Bruder mein Vorgesetzter ist?“
„Sollte nicht jedes Familienmitglied die gleiche Chance haben, im Unternehmen zu arbeiten?“
Diese Fragen sind nachvollziehbar – doch die Realität sieht anders aus. Unterschiedliche Lebensentscheidungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und wenn Familien versuchen, Gleichheit künstlich herzustellen, kann das mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen.
Denn Fairness bedeutet nicht immer Gleichheit. Und Gleichheit ist nicht immer fair.
Ein Beispiel: Manche Unternehmerfamilien versuchen, Vermögen über Generationen hinweg künstlich auszugleichen. Doch damit schaffen sie oft mehr Konflikte als Lösungen. Diejenigen, die Leistung erbringen, fühlen sich bestraft, während diejenigen, die weniger beitragen, keine Anreize zur Eigenverantwortung haben.
Die Kunst liegt also darin, ein gemeinsames Verständnis für eine faire, aber nicht zwangsläufig gleiche Familienstruktur zu entwickeln.
Fünf Prinzipien für den Umgang mit Ungleichheit
Wie können Unternehmerfamilien mit dieser Realität umgehen, ohne dass Konflikte eskalieren oder der Familienzusammenhalt zerbricht? Fünf zentrale Prinzipien helfen, den Weg durch die unvermeidliche Ungleichheit bewusst zu gestalten:
1. Den Familienzweck definieren
Ein gemeinsames Ziel gibt Orientierung. Warum existiert das Familienunternehmen? Was verbindet die Familienmitglieder jenseits von Besitz? Wer eine klare Antwort darauf hat, kann Ungleichheit besser einordnen – und wird weniger von Vergleichsdenken getrieben.
2. Familienkultur aktiv gestalten
Leistungsgesellschaft oder Solidaritätsprinzip? Familien können wählen, welche Kultur sie prägt. In manchen Familien ist es selbstverständlich, dass nur aktive Unternehmensmitglieder finanziell profitieren. Andere setzen auf ein sozialeres Modell, bei dem jeder eine Grundsicherheit erhält. Wichtig ist nur: Die Regeln müssen klar sein – und konsequent gelebt werden.
3. Streitmechanismen im Familienzimmer etablieren
Wo Ungleichheit ist, gibt es Konflikte. Wer diese nicht steuert, riskiert Eskalation. Erfolgreiche Unternehmerfamilien setzen deshalb auf strukturierte Streitbeilegungsmechanismen – sei es in Form von Familienräten, Mediationsprozessen oder verbindlichen Schlichtungsverfahren.
4. Sensibilität der Besitzenden gegenüber den Besitzlosen
Reichtum schafft Privilegien – und manchmal auch Arroganz. Familien, in denen ein Teil der Mitglieder finanziell abgesichert ist, sollten darauf achten, die anderen nicht zu übergehen. Das betrifft Kleinigkeiten (z. B. die Wahl des Urlaubsortes für Familientreffen) genauso wie große Entscheidungen (z. B. Vermögensverteilung).
5. Dankbarkeit als verbindendes Element
Egal, wie ungleich eine Familie ist – ein gemeinsames Fundament kann immer existieren: Dankbarkeit für das, was man hat. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig Dankbarkeit praktizieren, zufriedener sind und weniger Neid empfinden. Familien, die aktiv Wertschätzung füreinander zeigen, haben daher eine größere Chance, trotz Ungleichheit zusammenzuhalten.
Kompromisse akzeptieren statt Illusionen nachhängen
Ungleichheit ist kein Betriebsunfall – sie ist der Normalzustand. Familien, die versuchen, sie zu verleugnen oder zu bekämpfen, vergeuden Energie und riskieren Konflikte. Erfolgreiche Unternehmerfamilien akzeptieren Ungleichheit als Teil ihrer Realität – und lernen, mit ihr umzugehen.
Der Schlüssel liegt nicht in erzwungener Gleichheit, sondern in kluger Gestaltung: klare Prinzipien, eine starke Familienkultur und Mechanismen zur Konfliktlösung.
Denn wer den Unterschied zwischen „fair“ und „gleich“ versteht, kann als Familie zusammenbleiben – über Generationen hinweg.
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